Sonntag, 24. August 2014

Bücher als Repräsentationsmöbel - heute hui, morgen ...

Immer wieder erreichen mich Angebote von Buch-Resteverkäufern, vulgo Ramschern, die offenbar trotz des triumphalen Siegeszuges der E-Books ganz gut mit der Drittverwertung von Gedrucktem über die Runden kommen.

Ich sehe die meist in „2001-Manier” kleinformatig und auf Dünndruck-Bibelpapier hergestellten kleinen Kataloge gerne durch. Oft finde ich Bücher angeboten, die ich aus Geld- oder anderen Gründen beim Erscheinen nicht gekauft habe, regelmäßig finden sich da voluminöse Ausstellungskataloge, die ich mir mit oder ohne Besichtigung derselben verkniffen habe zu kaufen und natürlich amüsieren oder ekeln mich die Abgründe von Militaria und Softpornos, die offenbar erheblich zum Umsatz beitragen.
Kaufen tue ich da allerdings nur selten; ich habe ja unter dem Eid zu leiden, mit dem ich meiner Gattin zugesagt habe, für jedes neue Buch im Haus zwei alte wegzugeben ...

Ein besonderes Kapitel sind aufwändige Faksimiles, die ebenfalls regelmäßig in den Angeboten auftauchen. Viele davon sind vor fünf, sechs Jahren mit ganzseitigen Zeitschriftenanzeigen, hochwertigen Editionsprospekten und vermutlich sogar via Hausbesuch beworben worden. In manchen Familien sind so für viele hundert, manchmal sogar einige tausend Euro vermeintliche Wertsachen angeschafft worden, die eines Tages, spätestens nach dem Tod des Erwerbers, zur krassen Enttäuschung (noch) lachender Erben werden können. Ich persönlich sehe nur einen einzigen Anlass für die Herstellung von Faksimiles: das ist die Gelegenheit, Menschen bemerkenswerte Werke der Buch- und Druckkunst zum Anfassen nahe zu bringen, ohne die Originale zu schädigen. In einigen Museen und Ausstellungen habe ich das so angewandt gesehen und gut gefunden. Ernsthafte Forschung wird aber immer zum Original gehen, und reines Lektüreinteresse können natürlich weniger aufwändige Reproduktionen und erst recht Digitalisate befriedigen.

Verblüffend ist das Geschäft mit den Nachdrucken auch, weil es ja einen riesigen Markt voller Originale gibt. Antiquare können ganze Opern darüber singen, wie schön und günstig sie wertvollste Originale aus fast jedem Interessensgebiet von Wissenschaft und Kunst anbieten können, und wie laienhaft und peinlich der Stolz auf Nachgemachtes häufig wirkt - ganz abgesehen von dem Jammer, der bei den erwähnten scheinbar reich gewordenen Erben geweckt werden muss, wenn diese die „Schätze" versilbern wollen.

Gerade eben bietet man mir das Faksimile eines Chirurgiefachbuches von 1844 an („230 S., 60 ganzs. Tafeln, 30 x 39 cm, Goldprägung, Rücken in Seidenleinen, handgebunden in genarbtem Cabra-Leder”). Ich will jetzt gar nicht über die Hybris der Buchausstattung spotten - die paar Euro mehr für echtes Leder z.B. hätten schon drin sein können ... Aber: der Band wurde für sage und schreibe 519 € verkauft. Nun gibt es also sicher irgendwo den eine oder anderen Oberarzt, der sich das Ding entweder mal selbst geleistet hat oder, mindestens ebenso wahrscheinlich, es als repräsentatives Geschenk erhalten hat. Heute gibt's das auf der Resterampe für 49,90 € (ich nenne auf Anfrage gern den Anbieter). An anderer Stelle finde ich gerade: „Erwerben Sie hier eine wahre Rarität zu einem absolut top Preis.(370 statt 1.700 € - pb) Die Bibel wurde als Renditeobjekt erworben und ist absolut ungelesen!” Zur Suchfolge „faksimile wertvoll sonderangebot” nennt Google knapp 100.00 Fundstellen.

Mein völliges Unverständnis bei diesem Geschäft ist, ob sich denn Verlag und Händler nicht bewusst sind, dass sie mit dem kleinen Extraprofit dieser Ramschverkäufe ihren Markt zerstören - oder, wenn das nicht der Fall ist, wie zwei dann wohl ganz voneinander getrennte Märkte für die gleiche Ware tatsächlich nebeneinander her existieren können.

Noch einmal: ich anerkenne jede Berechtigung von Ramschverkäufen, und gelegentlich dient das ja auch zur Erkenntnis über den durchsetzbaren Preis von Büchern (manche Reihenwerke oder Werkausgaben sind für den Ramsch zum dort gefundenen Marktpreis x-fach öfter nachgedruckt worden als in der Originalausgabe). Bei teuer verkauften Faksimiles fehlt mir dagegen jedes Verständnis, falls es sich nicht um Notverkäufe handelt (was dann allerdings nicht für die Rentabilität von Faksimile-Produktion sprechen würde).