Sonntag, 9. Oktober 2016

Fäuste

Am 8.10. sah ich im ziemlich ausverkauften Kleinen Haus die Darmstädter Premiere des Faust. Stefan Benz hat im Darmstädter Echo bereits angekündigt, mit welcher Besetzung Bettina Brunier arbeitet: den Faust geben in verteilten Rollen Samuel Koch und Christian Klischat.



Der querschgnittgelähmte Koch ist wieder zusammen mit seinem Freund Robert Lang, der den Mephisto gibt, auf der Bühne - gelegentlich als „Doppelwesen", wenn Lang den lahmen Koch mit einem rucksackähnlichen Gestell vor der Brust wie ein Doppelwesen trägt und führt. Dabei kommt es zu den stärksten Szenen der Inszenierung, wenn sich die Janusköpfigkeit der Rollen Faust/Mephisto zeigt. Und wenn der hilflose Koch, zitternd und verletzlich, auf der Bühne „abgelegt" zurück bleibt, offenbart sich ein Menschlein in all seiner Schwäche. Das ist großartig gespielt und ein mutiger Einsatz Kochs, buchstäblich mit Leib und Seele. Schade, dass ich den gelegentlichen Rollenwechsel zwischen den beiden „Fäusten" Koch und Klischat nicht verstanden habe. Stefan Benz meint, Koch gebe den schwachen, Klischat den starken, vorantreibenden Faust. Mag sein.

Gute Idee, Teile der Faust-Monologe vom Chor (der „Theaterwerkstatt für Erwachsene", geleitet von Nike-Marie Steinbach) sprechen zu lassen. Wer allerdings Ulrichs Rasches Danton in Frankfurt gesehen, gehört hat, weiß, dass und wie lange der Chor noch üben muss.

In Mareile Kretteks höchst reduziertem Bühnenbild (hier ist beim Theater das Programmheft online zugänglich, das einige Bilder der Inszenierung bietet) bewegt sich eine höchst übersichtliche Schar von Schauspielerinnen. Mehrfachbesetzungen, die ich für die Notlösung darbender Privat- und Provinztheater hielt, haben mittlerweile die großen Bühnen erreicht und werden von der Kritik kaum thematisiert, sei es, weil sie dramaturgisch begründet werden, sei es, weil die Rezensentinnen keine Blick dafür haben. Dabei sind sie natürlich eine Pest für den schauspielerischen Nachwuchs und ein Eingriff in die Intention des Autors. In der aktuellen Inzenierung kann ich jedenfalls keinen dramaturgischen Sinn darin erkennen, dass die Rolle der Martha, der Hexe „u.a.” (Programmheft) oder die des Wagner/Valentin/Hexe/u.a. von jeweils der gleichen Person (Yana Robin La Baume und Florian Federl) übernommen werden. Ich fürchte, es hat mit Geld zu tun.

Kräftig durcheinandergeschüttelt erzählt die Inszenierung eine Faustgeschichte, die kenntnisarmen Besuchern schwer verständlich sein muss. Nun darf in Darmstadt 2016 vom üblichen Staatstheaterpublikum eine Grundkenntnis des Faust erwartet werden. Auffällig, wie das Publikum die berühmten Zitate goutiert, fast mitspricht (und bei "Neige, du Schmerzenreiche" darmstädisch aufseufzt). Da ist die Sehnsucht nach einem Urfaust der Spielgemeinschaft nicht zu überhören.

Am Schluss freundlicher, aber nicht euphorischer Beifall ohne Missfallenskundgebungen.

Dieser Faust wird in Darmstadt für eine Weile auf der Bühne sein, Theatergeschichte macht er nicht.

Alexander Jürgs ist bei Nachtkritik nicht so richtig begeistert.

Marcus Hladek hat in der FNP zu Recht Katharina Susewind als Gretchen erwähnt und gelobt, schließt aber auch: „Einen geschlossen Entwurf vermisst man: Zuvieles ist nur knapp angerissen, zu trivial gestaltet Bruinier ihre Keilereien.”