Freitag, 26. Februar 2016

Mit Gemeinwohl Schindluder treiben*

Zur Pfungstädter Innenstadtentwicklung habe ich kürzlich über die Zukunft des ehemaligen E-Werks geschrieben, ich muss das hier ergänzen:

Am 24. 2. hat die Pfungstädter Stadtverordnetenversammlung zum E-Werk einen Beschluss gefasst, über den das Darmstädter Echo unter der Überschrift „SPD und CDU setzen Teilabriss durch” berichtet. 


Gemach, gemach. Wenn ich das Durcheinander mit Anträgen, Änderungsanträgen und Beschlüssen richtig verstehe, heißt es im mit dem Stimmen der beiden Parteien gefassten Beschluss: 

„Erweiterung der vorhandenen Freifläche durch Rückbau der Halle unter Beachtung des Status des ehemaligen E-Werks als Industriedenkmal”. 

Rückbau. So hätten Sie's gerne. Warten wir ab, was sich die Denkmalbehörde gefallen lassen wird - und was nicht. Meiner Bemerkung: 
Das Gebäude, mit dem die Stadt um 1911 nicht nur die örtliche Wasser- und Elektrizitätsversorgung organisierte, sondern das gleichzeitig auch mittels eines Erdkanals die naheliegende Schule und eines der ersten hessischen Hallenbäder  ... mit Wärme versorgte, ist ein Industrie- und stadtgeschichtliches Denkmal allererster Güte. 



Dabei ist nicht in erster Linie das kleine Verwaltungshaus schützenswert, das im Typus des Pfungstädter Ziegelsteinbaus der Zeit durchaus ein ansehnliches Gebäude darstellt, und auch nicht nur die immerhin als unbestritten schutzwürdig anerkannte Hallenfassade, sondern ganz besonders die bisher kaum oder gar nicht erwähnten Reste der eigentlichen Industrieanlage: unter dem teils noch mit den originalen Kacheln belegtem Fußboden der Halle verbirgt sich ein Kellerlabyrinth, das Heiz- und Abluftkanäle, die Verbindung zu den gegenüberliegenden Brunnen und den Zugang zum fast völlig erhaltenen Versorgungskanal beherbergt.
habe ich nichts hinzuzufügen.

Es findet sich auch eine „Stellungnahme des Bürgermeisters”, die offenbar von einer Protokollantin verfasst und um Nachsätze ergänzt wurde. Diese lauten:  

„Im Zuge der Diskussion, in der sich abzeichnete, dass der Änderungsantrag der CDU mehrheitsfähig sein würde, bat Bürgermeister Koch darum, die Beschlussempfehlung für den Fall, dass (der - pb) heutige Beschluss (Änderungsantrag CDU zu Ds 40/16) nicht mit dem Denkmalschutz übereinstimmt (, - pb) dahingehend zu erweitern, dass die Verwaltung beauftragt wird (, - pb) den Beschlussvorschlag Ds 29/16 umzusetzen, da die Zeit drängt und man so eine evtl. notwendige weitere Sondersitzung verhindern könnte. Die Anregung des Bürgermeisters wurde im Zuge der Beratung und Beschlussfassung nicht weiter aufgegriffen und von den Stadtverordneten entsprechend offenbar nicht gewünscht.(Hervorhebung von mir - pb)
Pikant, dass hier offenbar Dissenz mindestens über das erforderliche Procedere eingetreten ist - der Bürgermeister hat es verstanden, sich im Voraus für die bevorstehenden Disaster zu entschulden. Den beiden Parteien, die sich in der Absicht des Durchregierens behindert sehen, ist das offenbar wurscht - Konsequenzen werden erst nach der bevorstehenden Kommunalwahl zu Tage treten. Der grüne Stadtverordnete Wolf Edelmann hat laut ECHO im oben verlinkten Artikel dazu gesagt: „Wenn das Geld weg ist, müssen wir das Denkmal aus der eigenen Tasche finanzieren”.

 Von Seiten der CDU werden alle Investitionspläne mit der ungeheuerlichen Bemerkung „Das ist mit dem Gemeinwohl nicht zu vereinbaren” kommentiert, womit offenbar gemeint ist, dass Aufwand für den Erhalt der Gebäude dem Wohl der Pfungstädter schaden würde. Das, nachdem die Stadtverordneten die Verantwortung für den verkommenen Zustand der Immobilie tragen und über Jahrzehnte geduldet haben. Tatsächlich haben sie bis heute weder verstanden, welch einen Schatz die Immobilie tatsächlich darstellt, noch, warum es in Pfungstadt so aussieht, wie es in Pfungstadt aussieht.

Ich habe ja im letzen Beitrag schon darauf hingewiesen, dass eine angemessene Erhaltung des Bauwerks durchaus auch die Pläne derjenigen in Frage stellt oder mindestens verkompliziert, die sich dort einen Kunst- und Veranstaltungsort wünschen, und möchte das hier noch einmal betonen: es wird nicht einfach werden, und es werden schmerzhafte Kompromisse gefunden werden müssen. Dafür, dass das nicht vor zehn Jahren geschehen ist, tragen diejenigen Verantwortung, die stattdessen hinter jedem Schwein hergelaufen sind, das durch die Brunnenstrasse getrieben wurde.

 * Die Brüder Grimm (die die Pfungstädter Straßenbenenner, die wirklich nichts auslassen, sich 
lächerlich zu machen,  unglaublicherweise  „Gebrüder” nennen) haben die Begriffe so definiert:  

gemeinwohl, n. das gemeine beste, staatswohl, nach dem engl. common weal, common-wealth im 18. jh. aufgekommen, anfangs das gemeine wohl (der ältere ausdruck war das gemeine gut, s. gemein 3, b, γ), gemeinwohl bei Campe als neu, belegt aus Voss und Benzel-Sternau.
 schindluder, n. ... 4) sehr verbreitet ist die redensart mit einem schindluder spielen oder treiben, ihn zum narren halten, auf rohe weise verspotten. Campe. Wander 4, 189. Vilmar 349. Albrecht a. a. o. Kleemann 18c. Jecht 93b. Bernd a. a. o. Castelli a. a. o. Hügel a. a. o. mit einem schindluderles spielen Spiesz a. a. o., treiba, von dingen, schimpflichen miszbrauch davon machen Sartorius a. a. o. mett sein leiwe schindluder spielen, arg verfahren Jecht a. a. o. er trieb nicht schindluder mit eid und gewissen. Gotthelf erz. 3, 250. 

Das gemeine Gut auf rohe Weise verspotten. Ach ja. 


Donnerstag, 25. Februar 2016

Denkmalschutz auf pfungstädterisch: Sanieren durch Abriss


In Pfungstadt ist offenbar gerade eine Art von Nachkarneval ausgebrochen. Die beiden großen Parteien haben entschieden, den Begriff Innenstadtsanierung auf die Art und Weise zu interpretieren, die sie am besten beherrschen: Entfernung des Alten ohne Strategie für das Neue.

So ist seit den sechziger Jahren ein Schmuckstück der Stadtgeschichte nach dem anderen ohne Not verschwunden und durch Gesichtsloses ersetzt worden. 
Pfngstadt, Borngasse. In der Mitte die Anwesen, die zum Bau
der Volksbank in den sechziger Jahren geschleift wurden
Die Hofreiten Ecke Mittelgasse/Borngasse und das gegenüberliegende Fachwerkhaus Ecke Borngasse/Kirchstraße, beide nicht zuletzt von einiger Bedeutung durch ihre jüdischen Besitzer, wurden dem Erdboden gleichgemacht. An Stelle des einen steht heute das Siebziger-Jahre-Bauverbrechen der ehemaligen Volksbank, das diese der Kommune als »Stadthaus 2« abgetreten hat. An Stelle des anderen klafft an Stelle des abgebrochenen »Haus Jeidl« ein unbedeutendes Plätzchen wie eine Lücke im Gebiss. Der Malzfabrik, deren Turm wenige Meter weiter als ein Ausrufezeichen unfähiger Innenstadtentwicklung zu einem traurigen Wahrzeichen der Gemeinde wurde, wurde in jüngster Zeit an Stelle der nächsten beseitigten Fachwerkhäuser eine in Beton gegossene Rücksichtslosigkeit erlaubt, die jeder Beschreibung spottet. Das Gelände des Unternehmens, das schon vor Jahrzehnten hätte in die Ortsperipherie verlegt werden müssen, umschließt mit Krakenarmen das heute kaum noch zu identifizierende älteste Haus Pfungstadts, das ehemalige Pfarrhaus aus dem 16. Jahrhundert. 
Pfungstadt, Borngasse. Ehemaliges Pfarrhaus.
Ältestes erhaltenes Haus der Stadt. 
 
Wieder wenige Schritte weiter gähnt ein gesichtsloser Parkplatz am Ort des jüdischen Internats, das als städtisches »Armenhaus« zugrunde gerichtet wurde und schließlich dem Bagger zugunsten eines Parkplatzes weichen musste. 
Pfungstadt, Mainstraße. Ehemaliges Jüdisches Institut.
1893 kurzfristig Wirkungsstätte Chaim Weizmanns, des späteren ersten Präsidenten Israels. 
Jetzt soll ein weiterer Nagel in den Schandpfahl der Stadtzerstörung eingeschlagen werden: die Reste der Ziegelsteinhalle des Wasser- und Elektrizitätswerks, von der bereits vor Jahrzehnten eine Hälfte weggeschafft wurde und die bisher allen »städtebaulichen Initiativen« widerstand, sollen nun endlich verschwinden, angeblichen Denkmalschutzauflagen geschuldet soll nur die Fassade sinn- und funktionslos stehen bleiben. 
Das ehemalige E-Werk in der Stadtmitte. Zustand noch mit dem
(späteren) Schlauchtrockenturm, der inzwischen entfernt wurde
Diese Baumaßnahme soll aus Landesmitteln der Innenstadtsanierung finanziert werden, die der Gemeinde bisher schon so nützliche Errungenschaften verschafft hat wie die Pflasterung zahlreicher Straßen mit rotem Beton, auf dem Gehbehinderte wanken und Rollstühle und Kinderwagen zu unkontrollierten Aktionen neigen oder Bürgersteige, deren »Breite« von kaum einem Meter unvermittelt auf weniger als 30 cm (!) schrumpft. 
 
Das Gebäude, mit dem die Stadt um 1911 nicht nur die örtliche Wasser- und Elektrizitätsversorgung organisierte, sondern das gleichzeitig auch mittels eines Erdkanals die naheliegende Schule und eines der ersten hessischen Hallenbäder (das übrigens als Sporthalle über dem zugeschütteten Jugendstilbecken einen Dornröschenschlaf schläft, der durchaus nicht unumkehrbar sein muss ...) mit Wärme versorgte, ist ein Industrie- und stadtgeschichtliches Denkmal allererster Güte. 
Dabei ist nicht in erster Linie das kleine Verwaltungshaus schützenswert, das im Typus des Pfungstädter Ziegelsteinbaus der Zeit durchaus ein ansehnliches Gebäude darstellt, und auch nicht nur die immerhin als unbestritten schutzwürdig anerkannte Hallenfassade, sondern ganz besonders die bisher kaum oder gar nicht erwähnten Reste der eigentlichen Industrieanlage: unter dem teils noch mit den originalen Kacheln belegtem Fußboden der Halle verbirgt sich ein Kellerlabyrinth, das Heiz- und Abluftkanäle, die Verbindung zu den gegenüberliegenden Brunnen und den Zugang zum fast völlig erhaltenen Versorgungskanal beherbergt. 
 Es steht außer Frage, dass gerade diese erhaltenen Strukturen die Denkmalwürdigkeit der Anlage ausmachen, auch wenn sie möglicherweise dem allgemeinen Schönheitsempfinden nicht entsprechen. Es ist kein Zufall, dass diese Keller in den bisherigen Diskussionen keine Rolle spielen - tatsächlich können sie nämlich nicht nur die Abrisspläne der Stadtverordneten, sondern auch die teils hochfliegenden Pläne der Kulturzentrums-Befürworter erheblich behindern. Ernst genommener Denkmalschutz muss von dem Industriedenkmal aber alles sichern, was seine historische Verwendung dokumentiert. Dass bei der Sanierung des Vorplatzes der evangelischen Kirche in den letzten Jahren der bis dahin hundert Jahre lang stabile Versorgungskanal eingestürzt und zerstört wurde, war vermeidbar und ist nicht zu verzeihen. Jetzt macht man sich daran, das Zerstörungswerk fortzusetzen. Mit der Behauptung, dabei gehe es »nur« um den Abriss einiger oberirdischer Ziegelsteinwände, die den Erhalt nicht wert seien, wird dabei der eigentliche Wert des Denkmals klein geredet oder bewusst geleugnet.
Tatsächlich hat Pfungstadt eine bewahrenswerte Stadtgeschichte, besonders aus den Jahren 1848 bis 1918, die für die Industrialisierung Deutschlands sowohl exemplarisch wie vorbildlich ist und immerhin an wenigen Stellen erhaltene authentische Orte hat: 
 
Pfungstadt, früheres Hallenbad.
Das Becken liegt zugeschüttet unter der heutigen Trainingshalle
dazu gehören die Überreste des kleinen Hallenbades ebenso wie das Maschinenhaus der Brauerei mit den Teilen der großen Dampfmaschine, die die erste elektrische Kühlung von Justus Hildebrands Brauerei betrieb, 
Das Schwungrad der Dampfmaschine in der Maschinenhalle der Pfungstädter Brauerei
die Villa, die sich der Unternehmer Wilhelm Büchner 1862 auf dem Gelände seiner »Blaufabrik« errichten ließ, 
 
Villa Büchner zu Beginn der Sanierungsarbeiten 2002.
Der Baum ist mittlerweile gefällt ...
 
und eben das Wasser- und Elektrizitätswerk mit allen Überresten der damals hochmodernen Technik. 
Es bleibt zu hoffen, dass die Denkmalschutzbehörden die Stadtverordneten deutlich an ihre Pflichten erinnern. Mit der Halle des E-Werks und ihren historischen Kellern verlöre Pfungstadt erneut ein Stück seiner Geschichte. Und erneut würde noch nicht einmal Zukunftsweisendes an seine Stelle treten - sondern nur Fassade.